Ich wollte nie eine Mörderin sein, und nie eine Mutter, und doch war ich beides, noch ehe mein zwanzigstes Jahr vorüberging…
Ich habe es getan. In der Nacht, als ich nicht schlafen konnte, stand ich auf, ging ins Arbeitszimmer, nahm aus der Schublade mit den leeren Blöcken einen, der mir gefiel, und setzte mich damit auf mein Bett, und begann zu schreiben. Erst eine 1, unten auf die Seite. Und dann, oben: Prolog.
Ich wollte es nicht tun, aber es ließ mir einfach keine Ruhe, die ganzen letzten Wochen über. Seit meinem Geburtstag im April, heute vor einem Monat, seit ich mich und meine Geschichte anzuzweifeln begann, wußte ich, daß ich dieses Buch schreiben muß. Wie immer es auch heißen wird. Bei Licht betrachtet, ist Seelenschuld auch kein besonders toller Name. Ich weiß, es ist zu früh. Ich weiß, ich muß erst noch zwei Bände Varyn fertigschreiben. Aber was hilft es, wenn alle meine Energie dafür draufgeht, ein anderes Buch nicht zu schreiben? Damit ist Varyn nicht geholfen. Und auch mir nicht.
Also habe ich nun damit begonnen, den Prolog zu schreiben, so lange, bis er mich losläßt. Ich weiß auch schon, was in den ersten zwei, drei Kapiteln passiert. Und, daß Varyn in dem Buch wohl nicht persönlich auftreten wird. Die Schicksale meiner beiden Helden beginnen sich zu kreuzen, doch ihre Wege noch nicht. Vielleicht begegnen sich Varyn und Alexander erst im allerletzten Band. Bis dahin schreibe ich ihnen abwechselnd Bücher. Und so, wie ich einst wie im Fieber die ersten fünfzig Seiten Dämmervogel schrieb, um wieder in Ruhe an Schwanenkind zu arbeiten, werde ich es auch jetzt tun. Angefangen mit dem Prolog, der verspricht, sehr lang zu werden, und der von Aralee handelt.
Aber was mache ich, wenn der Prolog fertig ist? Wenn ich ihn auf die Seite lade, bekommen meine Leser ein Problem mit dem Kontinuum, denn dieses Buch spielt Monate nach Dämmervogel, und es wird einigem vorausgreifen, was in Varyns Geschichte passiert. Ich will niemandem die Spannung nehmen.
Aber wenn ich es nicht hochlade, dann erschlagen mich die Leser, die sich nicht für Varyn interessieren, sondern nur dafür, wie es mit Alexander weitergeht…
Wie man’s macht, man macht’s verkehrt. Ich werde mir etwas einfallen lassen. Vielleicht eine dicke Warnung davorsetzen, vielleicht einen elitären Leserkreis für versteckten Text freischalten – es ist zu früh, mir deswegen den Kopf zu zerbrechen. Erst einmal muß der Prolog geschrieben werden. Bis jetzt sind es sechzehn Zeilen.
Aber sechzehn Zeilen, die mir ausgesprochen gut gefallen.