An diesem Wochenende hatte ich das Vergnügen, ein Tintenzirketreffen zu besuchen. Der Tintenzirkel ein Fantasyautorenkreis, und für seine Gründung werde ich eines Tages unvergessen sein – und die Momente, in denen ich am stolzesten auf mich und den Zirkel bin, sind die, in denen die Autoren außerhalb des Internets im wahren Leben aufeinander treffen und merken, daß sie längst eine richtige Freundschaft verbindet. So also auch am Samstag und Sonntag. Es wurde gegessen, geredet – dazu werde ich später mehr schreiben – und vorgelesen. Zirkeltreffen sind die einzigen Gelegenheiten, zu denen der Tintenzirkel Textarbeit betreibt, im Forum selbst sind keine Leseproben zugelassen, und ich kann das auch begründen.
Beim Vorlesen können die Opfer nicht weglaufen, sondern sind gezwungen, einen Text bis zum Ende zu hören – im Forum geht das nicht, und man muß damit rechnen, in Grund und Boden kritisiert zu werden von Leuten, die über die ersten zwei Zeilen hinaus nichts vom Text gelesen haben. Vorlesen ermöglicht dem Autor auch, selbst Fehler und Schwachpunkte zu finden – entweder übers Selbstlesen oder indem man den Text von einem anderen vorgelesen bekommt, also direkt merkt, wie der Text auf andere wirkt. Die Reaktionen der Zuhörer kommen doppelt: Erst unmittelbar, während des Lesens – man merkt, wo sie lachen, wo sie stöhnen, und wo sie einschlafen – und dann mittelbar im Anschluß, wenn sie sagen, was ihnen gefallen hat und was weniger, was unklar war und was man besser machen kann. Außerdem lese ich einfach unheimlich gerne vor.
Beim allerersten Zirkeltreffen, im Jahr 2002 anläßlich meines Geburtstags, als es das Forum noch nicht gab und der Tintenzirkel eine reine Mailingliste war, habe ich aus Schwanenkind vorgelesen – danach nur noch aus anderen Werken, aus Klagende Flamme oder Lichtland oder der Gauklerinsel – nun also, zum ersten Mal seit Jahren, habe ich wieder aus den Chroniken der Elomaran gelesen. Nach einigem Hin und Her – lese ich Varyn oder Alexander – habe ich mich für eine Szene aus Zornesbraut entschieden: Die frisch fertiggestellte Sequenz, in der Alexander Ember halbtot prügelt und für die ich mit dem Küchenmesser am Hals posiert habe. Ich wollte wissen, ob sie funktioniert: Ob sie zu gewaltverherrlichend ist, ob die Leser verstehen, daß es sich zum Teil nur um Alexanders Phantasien handelt, und vor allem, ob sie gut ist.
Mein Publikum war hochkarätig – vier Autoren mit Veröffentlichung, alle mit professionellen Zielen (insgesamt waren wir zu acht) – kritisch, und ehrlich. Mir ist es lieber, es gefällt ihnen nicht und sie können mir sagen warum, als daß alle nur schäfisch nicken und keiner richtig zugehört hat. Das Ergebnis war aber durchaus positiv:
Unterm Strich soll ich die Szene (zehn Seiten lang, bestehend aus einem Monolog am Anfang, Dialog, Kampf und noch einem Dialog) straffen, und das vor allem im Bereich Monolog und Kampf, der mir beim Lesen gar nicht so lang vorkam wie beim Schreiben, aber wohl doch ein paar Längen hat. Stellenweise war den Zuhörern nicht klar, was sich auf Alexander bezog und was auf Ember – hier muß ich für mehr Klarheit sorgen, denn selbstverständlich darf niemand auf die Idee kommen, die beiden zu verwecheln. Ebenfalls wurde angemerkt, daß eine Szene, die mit einem Monolog beginnt, grundsätzlich einen zähen Start hat – hier werde ich aber nichts ändern, nur kürzen, denn es ist durchaus relevant, daß ich Alexander erst mal eine Weile allein in seinem Zimmer habe. Ab und an ein Monolog muß sein, auch wenn das ganze Dritte Kapitel, aus dem die Szene stammt, sehr viel einsamen Alexander enthält und nicht das ganze Buch so monologlastig sein sollte.
Dafür kam aber Alexander selbst gut an. Nicht wegen seiner Persönlichkeit – die Szene tut nur wenig, um ihn in positives Licht zu rücken, er gebärdet sich weinerlich bis blutrünstig – sondern wegen seiner Ausarbeitung als plausibler Charakter. Man muß ihn nicht mögen, man kann sein Verhalten überzogen finden, aber so ist er nun einmal, und es ist kein Bruch darin: Er ist eben ein krankes Geschöpf, das einem manchmal leid tun und das man manchmal nicht ausstehen kann. Da ich meine Geschichten um die Figuren herum aufbaue und nicht umgekehrt, hat diese Kritik mich sehr glücklich gemacht. Kürzen kann ich die Szene immer noch, und verstanden haben sie auch alle, und niemand war entsetzt ob der darin beschriebenen Grausamkeiten, ich kann also zufrieden sein.
Niemand hat gesagt, daß es toll war. Auch damit muß ich leben, vor allem, wenn ich problematische Szenen auswähle, und vor allem, wenn man ein wirklich gutes, kritikfreudiges Publikum hat. Dann sage jetzt wenigstens ich, daß es toll war: Und wenn nicht meine Szene, dann doch zumindest das Treffen.